Als das Werdenfels steinreich war

Bericht vom 21. 4. 2014 im OVB

bayern & seine geschichten Glaukoquarzit-Abbau in Eschenlohe – ein Stück Industriegeschichte

Wendelin Lipp war ein junger Bergbauernbub aus dem österreichischen Tirol. Er suchte Arbeit – und fand sie in Eschenlohe (Kreis Garmisch-Partenkirchen). Er fing als Hilfsarbeiter an, dann lernte der fleißige Mann Betriebsschlosser und stieg im Hartsteinwerk Werdenfels auf. Seit 1973 war er Chef einer technischen Anlage, die lange das Wahrzeichen der Hartsteinwerke war: Die Werksseilbahn, die vom Moos bei Eschenlohe in einem weiten Bogen bis zu einer Verladestation am Eschenloher Bahnhof verlief. Vier Kilometer lang, 19 Stützen, die im weichen Moorgrund verankert waren. Mit Kipploren wurde harter Stein, der sogenannte Glaukoquarzit, zur Eisenbahn verfrachtet.

Die Seilbahn kannte in den 1960er- und 1970er-Jahren jeder, der einmal mit dem Auto runter nach Garmisch fuhr. Sie querte die Bundesstraße B2. Vorsichtshalber wurde eine Brücke gebaut, damit etwaige herunterfallende Gesteinsbrocken keine Autos treffen konnten. Ganzer Stolz der Hartsteinwerker war der jährlich prächtig illuminierte Christbaum auf der Brücke.

Ab 1972, als dann etwas westlich der B2 die Autobahn entstand, unterquerte die weithin sichtbare Seilbahn die Schnellstraße. Heute gibt es sie nicht mehr – zusammen mit dem Hartsteinwerk ging sie verloren, und damit ein Stück Industriegeschichte im südlichen Oberbayern.

Der Steinabbau hatte in Eschenlohe lange Zeit Hochkonjunktur. Der ein oder andere Stein vom „Langen Köchel“ dürfte heute noch im Untergrund Münchens liegen – als Gleisschotter der Münchner U- und S-Bahn. Der „Lange Köchel“ – das ist beziehungsweise war ein etwa 90 Meter hoher Berg, der aus der Ebene des Murnauer Mooses aufragte. Zwischen 1927 und 1990 nagte das Hartsteinwerk an dem harten Gestein – in den 70 Jahren wurden etwa 24 Millionen Tonnen Glaukoquarzit abgebaut.

Ein Drittel des Bergs verschwand auf Nimmerwiedersehen – die Deutsche Reichsbahn verfüllte deutschlandweit Bahntrassen mit dem Schotter. Sogenannter Edelsplitt rieselte auf die Straßen. In manchem Wildbach wurden große Trümmer verbaut. Schon die NS-Machthaber initiierten zahlreiche Bahnbau-Maßnahmen und brauchten viel Schotter.

1933 wehte auf einem 24 Meter hohen Mast eine weithin sichtbare Hakenkreuzfahne. 1942 schufteten dann französische Kriegsgefangene im Hartsteinwerk. 1948 brannte die Anlage ab. Aber es ging weiter. Im Wirtschaftswunder brummte die Steinförderung. „Wir waren mal 200 Mann“, erzählt Wendelin Lipp. Es wurde gesprengt und gesprengt. Viele Auswärtige, Tiroler, aber auch Heimatvertriebene, die im Steinbruch eine neue Arbeit fanden, wurden von eingefleischten Eschenlohern manchmal mit Argwohn betrachtet.

1981 übernahm der Baukonzern Hochtief das Hartsteinwerk. Schnell wurde der Betrieb mehr und mehr automatisiert. „Zum Schluss waren wir an der Seilbahn noch zu viert, und insgesamt vielleicht noch 20 Leute.“ 1990 wurde das Hartsteinwerk stillgelegt. Dort, wo früher die Werksgebäude standen, ist heute ein Grundwassersee. Manche sagen, die Atmosphäre an dem namenlosen Gewässer sei irgendwie unheimlich.

Und die Seilbahn? Eine Zeitlang wurde erwogen, die Anlage nach Südamerika zu exportiern. Doch die Pläne zerschlugen sich – zu teuer. Das Freilichtmuseum Glentleiten erwarb einige Einzelteile, und unter der Autobahnbrücke hat Wendelin Lipp eine kleine Dauerausstellung eingerichtet. Irgendwann aber, es muss so 2002/03 gewesen sein, wurde der Rest der Seilbahn abgebaut und einfach verschrottet.

dirk walter